Zielprojektionen
Ob die Einnahme einer Long- oder Short-Position in einem Basiswert im konkreten Fall sinnvoll ist oder nicht, hängt nicht zuletzt vom möglichen Kursziel ab. Der Abgleich des Kursziels mit dem anfänglichen Stop-Loss-Niveau ergibt das Chance-Risiko-Verhältnis für einen Trade. In der Technischen Analyse existiert allerdings eine Vielzahl an Möglichkeiten, zu potenziellen Kurszielen zu gelangen.
Schon aufgrund der Tatsache, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, mit den Werkzeugen der Technischen Analyse zu Kurszielen zu gelangen, sollte sich der Anleger bewusst sein, dass es »das« Kursziel für einen Basiswert als einziges infrage kommendes Zielniveau nicht gibt. Vielmehr existieren für einen Technischen Analysten, der sich aus der Werkzeugkiste variantenreich bedient, immer mehrere technisch ableitbare Ziele. Der Anleger sollte sich einerseits zwar dessen bewusst sein, sich jedoch andererseits auch nicht davon verwirren lassen. Für den erfolgreichen Börsenhandel ist eine genaue Kenntnis oder gar Anwendung einer Vielzahl dieser Möglichkeiten nicht zwingend erforderlich. Für ein möglichst genaues »Lesen« des Marktes, also eine detailreiche Analyse in verschiedenen Zeitebenen, ist eine umfassendere und ganzheitlichere Herangehensweise jedoch hilfreich. Insbesondere Anleger, die sich beim Börsenhandel auf einen oder wenige Basiswerte konzentrieren, sollten sich daher überlegen, sich der verschiedenen Techniken stärker zu bedienen. Ziel ist es im Idealfall, die sich so herauskristallisierenden Kursziele – mit zugegeben einer Portion Erfahrung – in ihrer wahrscheinlichen Bedeutung zu gewichten. Dabei spielt das Auffinden von Cluster-Bereichen eine zentrale Rolle.
Begriffserklärung
Kursziele sind Kursbereiche, die einerseits wahrscheinlich angelaufen werden und die andererseits auch wahrscheinlich dergestalt respektiert werden, dass der Basiswert dort eine Gegenbewegung oder Konsolidierung starten wird. Kursziel bedeutet jedoch nicht, dass das Niveau mit absoluter Sicherheit erreicht wird. Ebenfalls bedeutet es nicht, dass es dort zu einer bedeutenden Trendwende kommen wird. Der treibende Faktor für den Basiswert ist der zugrunde liegende Trend. Solange dieser anhält, sollte sich der Anleger daher auch die Möglichkeit eines deutlichen Übertreffens der anvisierten Zielzone vor Augen führen. Auf der anderen Seite kann es sowohl nach Fehlausbrüchen als auch nach eigentlich funktionierenden Ausbrüchen dazu kommen, dass die Kurse bereits vor dem Erreichen des nächsten (Mindest-)Zielniveaus wieder drehen. Beide genannten Probleme betreffen die Frage des Risikomanagements und damit die Frage, wo man Stop-Loss-Orders platziert und wann man sie zur Sicherung aufgelaufener Gewinne nachzieht.
Grafik 1: Fibonacci-Projektionen
Klassische Widerstände und Unterstützungen
Die sicherlich am häufigsten verwendete Methode, Kursziele auszumachen, ist die Identifikation der vorhandenen »klassischen« Widerstände bzw. Unterstützungen. Dazu zählen vor allem bedeutende nächste Hoch- und Tiefpunkte des Basiswerts aus der Vergangenheit. Daneben sind vor allem die erfahrungsgemäß bedeutenden gleitenden Durchschnitte SMA (Simple Moving Average) 20, 50, 100 und 200 zu nennen. An dieser Stelle, wie auch bei den nachfolgenden Techniken – mit Ausnahme der Fibonacci-Projektion –, verweisen wir bezüglich der Details auf die vergangenen Ausgaben dieser Reihe zur Technischen Analyse.
Formationen
Im Rahmen der Besprechung der wichtigsten Chartformationen wurde auch immer auf die sich unmittelbar aus der Komplettierung der jeweiligen Formation ergebenden Kursziele hingewiesen. Meist handelte es sich dabei um eine einfache Spiegelung der Höhe der Formation vom Ausbruchspunkt. Immer stellten sie potenzielle Mindestziele mit der Option auf ein Mehr an Kursbewegung dar. Wie häufig tatsächlich das entsprechende Kursziel bei einer statistischen Auswertung dann auch abgearbeitet wird, ist von Basiswert zu Basiswert und von Formation zu Formation unterschiedlich und bewegt sich in der Regel in einem Band zwischen 60 und 80 Prozent.
Retracements, Measured Move und Fibonacci-Projektionen
Aus den in der vorherigen Folge vorgestellten Retracement-Techniken lassen sich ebenfalls mögliche Kursziele im Rahmen einer Korrektur des vorherrschenden Trends ableiten. Dabei erachten viele Analysten das 38,2-Prozent-Fibonacci-Retracement als Mindest-Korrekturniveau. Andere sehen bereits das 23,6-Prozent-Fibonacci-Retracement als Mindestziel an. Sobald ein Retracement-Niveau signifikant verletzt wird, wird das jeweils nächste Niveau automatisch zum nächsten Kursziel. Während Retracements die Frage von Zielen in der Trendkorrektur betreffen, bieten die sogenannten Fibonacci-Projektionen (von manchen Anbietern von Chartanalyse-Software und Analysten auch – etwas inkorrekt – als Fibonacci-Extension bezeichnet) die Möglichkeit, im Rahmen des Trendverlaufs potenzielle Kursziele abzuleiten. Der sogenannte Measured Move stellt dabei den Sonderfall der 100-Prozent-Projektion dar. Man erhält diese Zielprojektion, indem man nach einer Korrektur einer dynamischen Trendbewegung am Korrekturtief (im Aufwärtstrend) 100 Prozent der im Rahmen des vorausgegangenen Kursschubs vertikal zurückgelegten Strecke nach oben abträgt. Man unterstellt mithin, dass der Basiswert dieselbe Wegstrecke in einem zweiten Kursschub erneut zurücklegen wird. Neben der 100-Prozent-Projektion, die als die zuverlässigste gilt, werden vor allem noch die auf der Fibonacci-Zahlenfolge basierenden Projektionen 61,8 Prozent, 161,8 Prozent, 261,8 Prozent und 423,6 Prozent verwendet.
Ziel-Cluster
Je mehr sich – vor allem methodisch unterschiedlich – hergeleitete Kursziele in einer bestimmten Zone konzentrieren und somit ein sogenanntes Ziel-Cluster bilden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Basiswert diese Zone ansteuern wird. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass es dort zu einer zumindest temporären Pause im Trend kommen wird, ist dann erhöht. Anleger können daher bei einer Annäherung an eine solche Zone ein Nachziehen des Stopps oder eine Realisierung von Teilgewinnen erwägen.