Wissen

Grundannahmen der technischen Analyse

Die Marktbewegung als Diskontierungsmechanismus
Ein Chart sagt mehr als tausend (Fundamental-)Daten. So könnte man überspitzt die Grundannahme der Technischen Analyse zusammenfassen. Während die Fundamentale Analyse darauf abzielt, durch die Untersuchung der das Angebot und die Nachfrage beeinflussenden Faktoren den sogenannten fairen Wert zu ermitteln, beschreitet die Technische Analyse einen komplett anderen Weg. Sie geht davon aus, dass sich alle preisrelevanten Informationen bereits im Kurs widerspiegeln, sodass auch nur das Studium der Kursbewegung erforderlich ist, um sich ein adäquates Bild von der fundamentalen Situation zu machen. Getreu dem Motto: Wenn die Kurse steigen, müssen die fundamentalen, psychologischen und sonst wie relevanten Faktoren bullish sein. Wenn es abwärtsgeht, sind auch die preisrelevanten Faktoren negativ. Die Marktbewegung diskontiert alles und der Markt hat immer recht. Übertreibungsphasen nach oben oder unten reflektieren die in diesen Situationen extreme psychologische Verfassung der Marktteilnehmer, das heißt Gier und Angst.

Grafik 1: Aufwärtstrend

Trends existieren und sie sind Freunde
Eine sehr entscheidende Prämisse der Technischen Analyse der Finanzmärkte ist das Konzept der Existenz von Trends im Kursverlauf. Die Aufgabe des Technischen Analysten ist es, diese Trends zu identifizieren, um von ihnen ab dem frühestmöglichen Stadium zu profitieren (»The trend is your friend«). Etablierte Trends setzen sich mit größerer Wahrscheinlichkeit eher fort, als dass sie sich umkehren. Diese Beobachtung entspricht dem Trägheitsprinzip der newtonschen Mechanik, wonach ein Körper in Ruhe oder in Bewegung diesen Zustand beibehält, solange er nicht durch einwirkende Kräfte zu einer Änderung dieses Zustands gezwungen wird. Bereits der als Begründer der modernen Technischen Analyse geltende Charles Dow kategorisierte und definierte die verschiedenen Arten von Trends. Der Markt kann sich demnach in einem Aufwärtstrend, einem Abwärtstrend oder in einem Seitwärtstrend befinden. Welcher der drei Zustände vorliegt, bestimmt sich aus der Abfolge von Hoch- und Tiefpunkten in der Preiskurve im jeweils beobachteten Zeithorizont. Die Sequenz von steigenden Hoch- und Tiefpunkten definiert den Aufwärtstrend, die Sequenz fallender Hoch- und Tiefpunkte den Abwärtstrend und etwa gleich hohe Hoch- und Tiefpunkte den Seitwärtstrend. Da der Trend für den technisch orientierten Anleger den Weg des geringsten Widerstands signalisiert, ergeben sich folgende praktische Konsequenzen: In einem Aufwärtstrend kann bei Rücksetzern in Unterstützungsbereiche oder trendbestätigenden Ausbrüchen aus Konsolidierungen gekauft werden. In einem Abwärtstrend können Erholungen in Widerstandsbereiche oder trendbestätigende Ausbrüche aus Konsolidierungen zu Verkäufen genutzt werden. In einem seitwärts tendierenden Markt können antizyklische Positionen an den jeweiligen Begrenzungen der Handelsspanne eingenommen werden. Diese Handelsstrategien behält der Technische Analyst bei, solange es keine sicheren Anzeichen dafür gibt, dass sich der vorherrschende Trend umkehrt. Obwohl es faktisch in zeitlicher Hinsicht eine unendliche Anzahl von Trends gibt, haben die meisten Technischen Analysten die Kategorisierung von Charles Dow übernommen, wonach es langfristige (primäre), mittelfristige (sekundäre) und kurzfristige (tertiäre) Trends gibt. Nach Dow weisen langfristige Trends eine Dauer von mindestens zwölf Monaten auf. Mittelfristige Trends dauern zwischen drei Wochen und mehreren Monaten. Als kurzfristig gelten alle Bewegungen, die eine Dauer von weniger als drei Wochen aufweisen.

Grafik 2: Abwärtstrend

Kursmuster und die menschliche Psyche
Eine weitere wichtige Prämisse der Technischen Analyse ist die Existenz wiederkehrender Muster im Kursverlauf. Diese reflektieren die bullishe, bearishe oder neutrale Einstellung der Marktakteure. Da diese in der Anleger-Psychologie wurzelnden empirischen Muster bzw. Formationen in der Vergangenheit funktioniert haben und sich die menschliche Psychologie naturgemäß kaum verändern dürfte, unterstellt der technisch orientierte Anleger, dass sie auch in Zukunft verlässlich bleiben. Üblicherweise erfolgt eine Kategorisierung dieser zahlreich vorhandenen Muster in Umkehrmuster und Fortsetzungsmuster. Aus einigen dieser Formationen lassen sich zusätzlich zur Richtungsindikation auch mögliche Kursziele ableiten. Bekannte Beispiele für Kursmuster sind der Doppelboden, die Kopf-Schulter-Formation und die Flagge.

Grafik 3: Seitwärtstrend

Vorteile des technischen Ansatzes
Während fundamental orientierte Analysten aufgrund des zeitlichen Aufwands in der Regel nur eine begrenzte Anzahl von Basiswerten untersuchen können, haben Technische Analysten den Vorteil, eine Vielzahl von Werten in einer vertretbaren Zeit analysieren zu können. Da die Technische Analyse über alle Assetklassen (Aktien, Devisen, Zinsen, Rohstoffe) hinweg gleich funktioniert, wird zudem die Diversifikation des Portfolios erleichtert. Ferner kann der technisch orientierte Anleger seinen Fokus flexibel auf den jeweils aktuell interessantesten Markt legen. Nahezu unbestritten ist die Tatsache, dass die Fundamentalanalyse im Unterschied zur Technischen Analyse dem Anleger im Bereich des kurzfristigen Timings von Anlageentscheidungen keine Hilfestellung gibt.

Weiter zu Teil 2: Charttypen

Das könnte Sie auch interessieren: