Kurslücken

Der Schwerpunkt in der Technischen Analyse liegt darin, aus den Kursnotierungen und deren Trend Anhaltspunkte für die weitere Kursentwicklung abzuleiten. Häufig kann es jedoch auch aufschlussreich sein darauf zu achten, wo sich die Notierungen im Trendverlauf nicht aufgehalten haben. Diese Konstellation wird als Kurslücke (englisch: Gap) bezeichnet.

Kurslücken können nur in den Chart-Darstellungsformen Balkenchart und Kerzenchart ersichtlich werden. Es sind Bereiche, in denen kein Handel stattgefunden hat, weil die Kurse diese Preisniveaus übersprungen haben. In der betrachteten Periodeneinstellung (Tag, Woche, Stunde etc.) darf die Lücke nicht wieder im Verlauf der Ausbildung des Balkens bzw. der Kerze gefüllt werden, da es sich sonst nur um eine sogenannte Eröffnungslücke handelt, die lediglich für den Intraday-Handel eine gewisse Relevanz besitzt. Ebenfalls keine Lücke im engeren Sinne ist das sogenannte Common Gap. Es entsteht innerhalb einer Seitwärtsbewegung und in der Regel bei geringem Handelsvolumen. Allgemein lässt sich sagen, dass Kurslücken im Aufwärtstrend ein Zeichen von Stärke und im Abwärtstrend ein Zeichen von Schwäche sind. Der komplette Bereich der Lücke fungiert dann als Unterstützungszone bzw. Widerstandszone, vor allem jedoch die untere Begrenzung (im Aufwärtstrend) bzw. obere Begrenzung (im Abwärtstrend) der Lücke. Je höher das Handelsvolumen bei der Entstehung der Lücke, desto größer die Relevanz. Je nachdem, wo die Lücke auftaucht, lassen sich drei relevante Arten von Kurslücken unterscheiden.

Grafik 1: Kurslücken

Die Ausbruchslücke
Mit der Ausbruchslücke (englisch: Breakaway Gap) wird meist eine bedeutende Marktbewegung eingeleitet. Der Kurs springt dabei in der Regel begleitet von hohem Handelsvolumen über einen wichtigen Widerstand bzw. fällt unter eine wichtige Unterstützung. Sehr häufig wird dabei zugleich eine Umkehrformation (Beispiel: Doppelboden, Kopf-Schulter-Formation etc.) vollendet. Die übersprungene Hürde kann aber auch eine Trendlinie oder ein bedeutsamer gleitender Durchschnitt sein. Damit die Ausbruchslücke ihre bullishe bzw. bearishe Aussagekraft behält, darf die Notierung im Fall einer möglichen Rückkehrbewegung nicht unterhalb bzw. oberhalb der Begrenzung der Lücke schließen.

Die Fortsetzungslücke
Die Fortsetzungslücke (englisch: Continuation Gap, Runaway Gap, Measuring Gap) lässt sich gelegentlich etwa in der Mitte einer Trendbewegung beobachten. Das Handelsvolumen ist dabei in der Regel durchschnittlich. Da dieses Gap in etwa der Mitte der Bewegung auftaucht, kann man es auch zur Ermittlung eines potenziellen Kursziels verwenden. Dabei gilt das Kursniveau des ursprünglichen Trendsignals – also des Ausbruchs aus der Formation oder des Bruchs der Trendlinie – als Ausgangspunkt der entsprechenden Trendbewegung und nicht etwa das vorausgegangene Tief bzw. Hoch.

Die Erschöpfungslücke
In unmittelbarer Nähe des Endes einer Trendbewegung kann schließlich die dritte Art von Kurslücke in Erscheinung treten: die Erschöpfungslücke (englisch: Exhaustion Gap). Bei dieser Lücke lässt sich keine Differenzierung hinsichtlich des Handelsvolumens anstellen. Es kann sowohl niedrig (Abschwächung des Kaufdrucks/Verkaufsdrucks), durchschnittlich oder auffällig erhöht (Blow-Off bzw. Selling Climax) sein. Die Erschöpfungslücke stellt im Trendverlauf ein letztes Aufbäumen bzw. einen letzten Schwächeanfall der Kurse dar. In der Regel tritt diese Lückenart erst auf, nachdem das analytische Mindestkursziel aus der vorausgegangenen Umkehrformation – falls vorhanden – abgearbeitet wurde. Die Bestätigung für das Vorliegen einer Erschöpfungslücke liegt in einem signifikanten Schluss unterhalb bzw. oberhalb der Lücke. Meist tritt diese Bestätigung im Tageschart wenige Tage bis maximal Wochen nach dem Entstehen der Lücke auf.

Die Inselumkehr
Bei der sogenannten Inselumkehr (englisch: Island Reversal) entsteht eine Kombination aus einer Erschöpfungslücke und einer Ausbruchslücke in die andere Richtung. Dazwischen handelt der Basiswert eine Weile in einer relativ engen Handelsspanne seitwärts, wodurch im Chart ein Bild entsteht, das einer Insel im Meer gleicht, wobei die Lücken das Meer darstellen. Die Inselumkehr kann eine bedeutende Trendwende signalisieren.

Grafik 2: Inselumkehr

Das Schließen der Lücken
Ein sich hartnäckig haltender Mythos unter Tradern besagt, dass Kurslücken immer gefüllt werden. Damit ist gemeint, dass die Kurse immer in den Bereich der Lücke zurückkehren und sie teilweise oder sogar ganz durchhandeln würden. Richtigerweise gilt es hier nach Lückenart zu differenzieren. Ausbruchslücken werden nur sehr selten geschlossen. Fortsetzungslücken werden nur gelegentlich geschlossen und Erschöpfungslücken werden – denknotwendig – immer geschlossen.