Interview

Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos – Interview mit Tristan Horx, Zukunftsforscher

ideas: Herr Horx, Sie sind, wie Ihr Vater, Zukunftsforscher. Wie definieren Sie die Rolle eines Zukunftsforschers in der heutigen Gesellschaft und wie hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt?
Tristan Horx: Die Zukunft ist mittlerweile »verschwunden«. In der heutigen Gesellschaft haben wir uns deswegen vor allem von der Trendforschung in Richtung echter Zukunftsforschung bewegt. Bedeutet also, wir versuchen nicht mehr einfach, die neuesten, coolsten Trends zu benennen, unsere Aufgabe ist jetzt durchaus wichtiger geworden. Denn nun müssen wir all jenen, denen die Zukunft zerstört und verschwunden scheint, wieder etwas Zuversicht geben. Die Zukunft lebt, man muss den Nebel, der vor ihr liegt, nur etwas wegpusten.

Können Sie uns einen Einblick in die Methoden und Techniken geben, die Sie bei Ihrer Arbeit verwenden?
Vor allem das Rekursionsmodell ist momentan so wichtig wie noch nie. Jeder Trend verursacht auch Gegentrends, und genau die versuchen wir zu untersuchen. Nehmen wir zum Beispiel die Globalisierung, einer der Megatrends, von denen wir dachten, er werde endlos steigen. Momentan befinden wir uns hier in einem massiven Gegentrend zur Lokalisierung, auch bekannt als Nationalismus. Wie sich diese beiden Trends zu einer neuen Synthese, einer Mischung aus beiden ergeben, versuchen wir anhand von Datenanalysen, Szenarien und Regnosen (Gegenwartsbetrachtung aus der Zukunft heraus) zu ertasten. Die Zukunft entsteht, wenn sich vermeintliche Widersprüche miteinander vermengen. So wird aus dieser Dynamik die Glokalisierung. Ein bisschen Wortspiel gehört auch zum Beruf der Trend- und Zukunftsforschung.

Laut einer Umfrage blickt die überwiegende Mehrheit der Deutschen besorgt in die Zukunft. Berechtigt?
Keine Frage, wir befinden uns in einer Omnikrise. Aber man sollte eine gute Krise nutzen, um seine Ängste zu überwinden, und produktiv und innovativ werden. Wir leiden vor allem an einer kognitiven Krise, die sich durch die digitalen Medien unglaublich schnell verbreitet. Vergleicht man das individuelle Glücksempfinden der Deutschen von 2019 bis 2024, ist es nur um etwa 2 Prozent gesunken. Das ist mit Blick auf die vielen Krisen wirklich in Ordnung. Die Welt brennt, aber zuhause ist es meistens dann doch ganz schnuckelig.

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Herausforderungen?
In der Wahrnehmung. Die Lage ist durchaus ernst, aber nicht hoffnungslos. Allerdings reden wir uns in Deutschland gerade den Weltuntergang herbei. Wie das historisch ausgehen kann, sollten wir wissen wie sonst kein anderes Land.

Gefühlt waren die unterschiedlichen Generationen noch nie so weit voneinander entfernt wie heute. Zeigt sich das auch bei Ihrer Forschung?
Es zeigt sich vor allem ein Scheinkonflikt. Die »Boomer« sind angeblich ganz böse und haben die Welt und das Klima ruiniert, aber Mama und Papa sind völlig in Ordnung. Die Familien sind so gesund wie noch nie, ein unglaublicher Fortschritt. Ich finde es auch total wichtig, dass sich unterschiedliche Generationen aneinander reiben. Wir müssen wieder lernen, dass Weisheit und Erfahrung für die Gesellschaft und Wirtschaft wichtig sind, genauso wie das Rebellische, Hinterfragende der Jugend. Allerdings haben wir uns sehr stark nach Alter im digitalen Raum segmentiert. Es gibt keine jungen Menschen mehr auf Facebook, keine Alten auf TikTok. Somit fehlt uns der gemeinsame soziale Raum, in dem sich die Generationen produktiv aneinander reiben. Dass die nächste Generation faul und verweichlicht ist, sagen wir schon seit der Antike. Allerdings fehlt uns jetzt zunehmend der intergenerationale Kontakt, um das Gegenteil zu beweisen.

Neben all den Herausforderungen: Gibt es auch Dinge, auf die wir uns »in Zukunft« freuen können?
Ich freue mich vor allem auf das postfossile Zeitalter. Wenn wir die Nullsummenwirtschaft verlassen und nicht mehr an eine endliche Menge an Dinosauriersaft gebunden sind. Flatrate für Energie, und dann so viel davon verbrauchen wie man möchte. 2040 könnte es so weit sein. Fantastisch wird er, der nachhaltige Hedonismus.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.