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Vom spannenden Sommer zum heißen Herbst? Interview mit Nancy Lanzendörfer, ntv-Moderatorin

ideas: Frau Lanzendörfer, viele unserer Leser kennen Sie wahrscheinlich als Börsenkorrespondentin und als Moderatorin der Zertifikate-Sendungen auf ntv. Was viele aber nicht wissen, ist, dass Sie lange Zeit auch als USA-Korrespondentin gearbeitet haben. In den USA läuft derzeit der Wahlkampf auf Hochtouren. Wie schätzen Sie die Geschehnisse dort ein?
Nancy Lanzendörfer: 
Als Donald Trump im Amt war, habe ich in den USA oft das Wort »unprecedented« gehört – »beispiellos«, »so was gab es noch nie«. Denn wir haben oft Noch-nie-Dagewesenes gesehen, Trump hat mit vielen Normen gebrochen. Wer hätte gedacht, dass sich dieser Trend fortsetzt, sprich, dass wir weiterhin so viele historische Momente erleben, innerhalb kürzester Zeit? Dass – mit Trump – erstmals in der Geschichte der USA ein Ex-Präsident verurteilt wird? Dass der amtierende US-Präsident Joe Biden doch aus dem Rennen aussteigt, und zwar nur wenige Monate vor der Wahl? Dass Attentate auf Trump verübt werden? Dass die zwischenzeitlich überaus unbeliebte Vizepräsidentin Kamala Harris für die Demokraten antritt und dann sogar eine gewisse Euphorie in ihrer Partei auslöst? Was schon ein spannender Sommer war, könnte noch zu einem heißen Herbst werden.

Hätten Sie damit gerechnet, dass sich Joe Biden aus dem Rennen um die Präsidentschaft verabschiedet?
Bidens TV-Debatte mit Trump im Juni lief echt nicht gut – noch in der Nacht zeichnete sich ab, dass Rufe nach seinem Rücktritt laut werden würden. Das lag förmlich in der Luft, würde ich sagen. Und schließlich wurde der Druck auch aus seiner eigenen Partei zu groß.

Und wie schätzen Sie die Chancen von Kamala Harris ein?
Vizepräsidentin Kamala Harris hat gerade eine weitere wichtige Hürde genommen – ihre erste TV-Debatte mit Trump, der so viele Präsidentschaftsdebatten absolviert hat wie kein anderer. Hat sie damit die Wahl in der Tasche? Nein, aber einen weiteren Test bestanden, den sie machen musste. Im Vergleich zu Joe Biden hat sie in den Umfragen aufgeholt und das Rennen um das Weiße Haus im November ist wieder völlig offen.

Welches Thema ist für die amerikanischen Wählerinnen und Wähler denn am wichtigsten?
Das kann man nicht verallgemeinern – für die einen sind es die Abtreibungsrechte, für die anderen die Einwanderungspolitik, aber für einen Großteil ist es wie so oft tatsächlich das Thema Wirtschaft, genauer gesagt (hohe) Lebenshaltungskosten. Denn wie hat schon James Carville, ein bekannter Berater von Bill Clinton, gesagt: »The economy, stupid.« Die Teuerungsrate in den USA ist zwar zurückgegangen, aber das heißt ja nicht, dass zum Beispiel Lebensmittel günstiger werden, nur, dass sie weniger stark steigen. In Umfragen trauen in diesem Bereich viele Wählerinnen und Wähler dem Republikaner – und Geschäftsmann – Trump mehr zu als Harris. Goldman Sachs ist da anderer Meinung: Dem US-Investmenthaus zufolge würde Harris für etwas mehr Wirtschaftswachstum sorgen als Trump, vor allem wegen dessen geplanter Einwanderungspolitik und angedrohter Einfuhrzölle.

Im Rahmen Ihrer Tätigkeit berichten Sie fast täglich vom Börsenparkett. Welche Faszination üben die internationalen Finanzmärkte auf Sie aus?
Wenn du auf die Arbeit gehst, weißt du nie hundertprozentig, was dich erwartet. Gut, du weißt zum Beispiel, es stehen die und die Zahlen an. Aber wie fallen die aus? Reagiert die Aktie oder der Markt wirklich so, wie das Analysten erwartet hatten bzw. warum nicht? Besonders spannend finde ich es auch, wenn alltägliche Dinge im Leben mit der Finanzwelt zusammentreffen – zum Beispiel, wenn du an die Tankstelle gehst und dich darüber freust, dass der Benzinpreis zurückgegangen ist. Endlich. Aber warum eigentlich? Und bleibt der Ölpreis niedrig? Es gibt oft mehr Anknüpfungspunkte, als viele vielleicht denken.

Seit dem Coronacrash und der anschließenden Rally sowie dem Aufkommen der Neobroker gibt es ein wachsendes Interesse an den Finanzmärkten. Zudem erkennen gerade immer mehr jüngere Leute, dass sie privat fürs Alter vorsorgen müssen. Inwiefern sehen Sie und Ihre Kollegen bei ntv sich in der Verantwortung, zur Aktienkultur in Deutschland beizutragen?
Wir möchten unbedingt zu einer verbesserten Aktienkultur beitragen, indem wir Zusammenhänge verständlich erklären und aufklären. Wir besprechen ein breites Spektrum an relevanten Themen, die alle angehen – von A wie Altersvorsorge über H wie Hauspreise zu Z wie Zinsen oder Zertifikate, um nur ein paar Beispiele zu nennen, und zwar sowohl im linearen Fernsehen als auch im Internet. Stichwort Aktienkultur: In der Tat habe ich erst gelesen, dass Anlegerinnen und Anleger in Deutschland auch als »Börsenmuffel« bezeichnet werden. Das muss nicht sein.

Ihre journalistische Laufbahn haben Sie 1999 gestartet. Sie blicken also auf 25 Jahre Erfahrung zurück. Was waren in dieser Zeit Ihre Highlights?
Wo soll ich anfangen? Auf dem Börsenparkett in Frankfurt zu stehen (oder auch früher in New York an der Wall Street) ist natürlich schon etwas ganz Besonderes. Ich hätte aber auch nie gedacht, dass ich mal über Schneestürme in New York City, die sogar den Broadway lahmlegen, berichten würde, oder über Unruhen, Waffengewalt, die mitunter schlimmsten Waldbrände in Kalifornien oder tödliche Hurrikans in Florida. Und natürlich – wir haben es eingangs angesprochen – alle vier Jahre die spannenden US-Präsidentschaftswahlen.

Ein markanter Bestandteil jeder ntv-Sendung ist der Newsticker. Welche News würden Sie hier gerne einmal sehen?
Muss ich mich für eine entscheiden? Ich glaube, es gibt viele (gute) Nachrichten, die wir alle gerne sehen würden. Wäre es nicht schön, wenn wir wieder das Wort Frieden hören würden, anstelle von Krieg?

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.