Interview

Schutzzölle sind richtig – Interview mit Dr. Andreas Fulda, Politikwissenschaftler und China-Experte

ideas: Herr Dr. Fulda, Sie sind Politikwissenschaftler und Experte für Beziehungen zwischen der EU und China. Zudem fungieren Sie als außenpolitischer Berater der Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC). Wie schätzen Sie die gegenwärtige wirtschaftliche und politische Lage in China ein? Konnte sich das Land nach der Zero-Covid-Politik wieder erholen?
Dr. Andreas Fulda: Die Zero-Covid-Politik hat China in dreifacher Hinsicht geschadet. Bis heute hat sich Chinas Wirtschaft von den Zwangsmaßnahmen nicht erholt. Viele junge Chinesen empfanden die drakonischen Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit als erniedrigend, was zu den öffentlichen Protesten im Herbst 2022 geführt hat. Und auch im Ausland hat Chinas Image stark gelitten: Wer wie die australische Regierung Aufklärung über den Ursprung von Covid-19 forderte, wurde mit Wirtschaftssanktionen überzogen.

Welchen Einfluss hat hier der demografische Wandel, der aus der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik resultiert?
Die Generation der Chinesen, die nach 1980 geboren sind, haben die Blütephase der sogenannten Reform- und Öffnungspolitik hautnah erlebt. Vor allen Dingen im städtischen Raum haben junge Chinesen vom Wirtschaftswachstum und der globalen Mobilität stark profitiert. Umso schmerzhafter ist für sie die hart autoritäre Wende unter Generalsekretär Xi Jinping. Sie droht, die Errungenschaften der vergangenen vierzig Jahre wieder zunichtezumachen.

Welche Rolle spielt China heute in der globalen Wirtschaft im Vergleich zu vor zehn Jahren?
Auch wenn die goldenen Zeiten in China mittlerweile vorbei sind, so spielt die Volksrepublik China immer noch eine zentrale Rolle in der globalen Wirtschaft. Besonders erdrückend ist die Dominanz im Bereich der Fotovoltaik. Die weltweit zehn größten Solarpaneele-Produzenten finden sich alle in China. Und mittlerweile streben chinesische Automobilkonzerne wie BYD, Geely und XPeng die globale Marktführerschaft auch im Segment der Elektroautos an.

In den vergangenen Monaten waren vor allem die Strafzölle auf chinesische Autos – von den USA bereits seit einiger Zeit und nun auch von der EU eingeführt – im Fokus der Öffentlichkeit. Aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Maßnahme oder schneidet sich der Westen damit ins eigene Fleisch?
Die von der Europäischen Kommission mittlerweile bestätigten vorläufigen Schutzzölle sind richtig. Allerdings halte ich sie für zu niedrig. Hier wiederholt sich ein Fehler, der 2012 bereits bei dem drohenden Handelskrieg um Solarpaneele gemacht wurde. Bundeskanzlerin Merkel machte sich Sorgen um Vergeltungsmaßnahmen gegen deutsche Autobauer. Die damals erhobenen Schutztarife waren ebenfalls zu niedrig, um die deutsche und europäische Solarindustrie effektiv vor unfairem Wettbewerb zu schützen.

Seit ChatGPT der breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, ist das Thema Künstliche Intelligenz in aller Munde. Wie sieht es hier in China aus? Kann die Volksrepublik bei dieser Entwicklung und generell im Bereich Technologie mit den USA mithalten?

Künstliche Intelligenz ist ein großes Thema in China. Die Kommunistische Partei Chinas sieht in KI einen wichtigen Hebel in der Modernisierung des produzierenden Gewerbes. Die Massenanwendung von KI wird gleichzeitig durch das Zensurregime der Partei ausgebremst.

Zusätzlich spielt KI eine bedeutende Rolle bei der Kontrolle der Bevölkerung in Echtzeit. Die chinesische Regierung nutzt KI-Technologien, um ein umfassendes Überwachungsnetzwerk aufzubauen. Gesichtserkennung und andere KI-gestützte Systeme sind bereits weit verbreitet und werden kontinuierlich weiterentwickelt.

Auch im militärischen Bereich wird stark in KI-Technologien investiert. Die Volksbefreiungsarmee nutzt Künstliche Intelligenz zur Entwicklung autonomer Waffensysteme, Drohnen und zur Verbesserung der Cyberkriegsführungskapazitäten. Diese Entwicklungen zielen darauf ab, die militärische Stärke Chinas weiter auszubauen und eine führende Rolle im globalen technologischen Wettbewerb zu sichern.

Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist der Klimawandel. China als eines der bevölkerungsreichsten Länder der Erde muss zwingend ein Teil der Maßnahmen zum Klimaschutz sein, um etwas zu bewirken. Gibt es hier konkrete Pläne in Bezug auf Umwelt und Nachhaltigkeit?
Im September 2020 hat Generalsekretär Xi Jinping angekündigt, China werde spätestens 2060 Klimaneutralität erreichen. Zwar stimmt es, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien in China sehr schnell vorangeht. Gleichzeitig wurden allein 2022 in China 42 große Kohlekraftwerke in Auftrag gegeben. Chinas Investitionen in Kohlekraft im Ausland bleiben sehr hoch. Insofern scheint es mir eher, dass die Volksrepublik China zwar globaler Marktführer im Bereich der erneuerbaren Energien werden möchte, dies aber nicht dazu geführt hat, dass damit ein Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen einhergeht.

Es gibt zudem Bedenken, dass die offiziellen statistischen Daten Chinas den tatsächlichen CO2-Ausstoß möglicherweise unterschätzen. Darüber hinaus sind weitere Anstrengungen erforderlich, um die Energieeffizienz zu steigern. Dies umfasst Maßnahmen wie die Modernisierung von Gebäuden, die Förderung energieeffizienter Technologien und die Reduzierung von Energieverlusten im industriellen Sektor. Nur durch eine Kombination all dieser Maßnahmen kann China einen bedeutenden Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.