Interview

Wir brauchen eine innovationsfreundliche Mentalität – Interview mit Prof. Achim Wambach, Präsident des ZEW, Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

ideas: Herr Prof. Wambach, Sie sind Präsident des ZEW, des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Vielen unserer Leser sind sicher die ZEW-Konjunkturerwartungen ein Begriff, die auch auf die Börse Einfluss haben. Können Sie uns einen kurzen Einblick geben, wie diese Daten erhoben werden?
Prof. Achim Wambach: Wir fragen monatlich bis zu 350 Finanzexperten aus Banken und Versicherungen nach ihren Einschätzungen zur deutschen und europäischen Konjunktur, aber auch zu weiteren Finanzmarktdaten wie der Entwicklung von Inflation, Zinsen und Wechselkursen. Das bekannteste Ergebnis daraus sind die ZEW-Konjunkturerwartungen, die momentan auf dem höchsten Stand seit März 2022 stehen. Die Hälfte der Befragten erwartet eine Verbesserung der deutschen Konjunktur in den nächsten sechs Monaten. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings die sehr schlechte Einschätzung der derzeitigen Lage – da kann es eigentlich nur besser werden.

Apropos Konjunkturerwartungen – wie schätzen Sie die Situation in Deutschland ein? Dürfen wir von einem baldigen Wirtschaftswachstum träumen?
Ein überschaubares Wirtschaftswachstum: Deutschland wird dieses Jahr sehr wenig wachsen. Die Gemeinschaftsdiagnose der Wirtschaftsforschungsinstitute kommt auf nur 0,1 Prozent Wachstum für 2024. Die Prognose für 2025 ist mit 1,4 Prozent etwas optimistischer. Wir haben aber nicht nur eine Konjunkturschwäche, sondern eine ganze Transformation vor uns, die die Wirtschaft beschäftigt. Und der Standort Deutschland ist darauf nicht gut vorbereitet. Wir am ZEW geben auch den Länderindex Familienunternehmen heraus: Da ist Deutschland auf Rang 18 unter den 21 betrachteten Industriestaaten heruntergerutscht.

In den USA zum Beispiel wächst die Wirtschaft überraschend stark. Was machen andere Länder besser?
Geringere Unternehmenssteuern, weniger Bürokratie, geringere Energiekosten, mehr Dynamik auf dem Arbeitsmarkt. Es ist ein ganzes Bündel an Faktoren, die einen Investitionsstandort ausmachen. Deutschland hat bei vielen dieser Faktoren Aufholbedarf.

In den vergangenen Jahren war zu beobachten, dass viele Unternehmen ihre Produktion aus Deutschland ins Ausland verlagern. Kann dieser Prozess aus Ihrer Sicht gestoppt bzw. umgekehrt werden?
Einen Teil der Verlagerung werden wir nicht stoppen können, da Energie in Deutschland auch zukünftig nicht mehr richtig billig sein wird; Deutschland hat einfach nicht die besten Voraussetzungen für Sonnen- und Windenergie. Deshalb werden Unternehmen mit hohem Energiebedarf und geringer Wertschöpfung, die also besonders von billigen Energiepreisen abhängig sind, die Produktion – oder zumindest den energieintensiven Teil davon – verlagern. Wichtig wird sein, dass nicht auch die Produktionsbereiche mit hoher Wertschöpfung abwandern. Damit wären wir wieder bei den Standortkriterien: Gute (digitale) Infrastruktur, hohes Fachkräftepotenzial, das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, wenig Regulierung – das sind die Faktoren, die Deutschland gerade in der Spitzentechnologie attraktiv machen würden.

Derzeit wird die Schuldenbremse stark diskutiert in Deutschland. Wie stehen Sie dazu – aussetzen oder beibehalten?
Reformen der Schuldenbremse sind sicher vorstellbar; im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium haben wir dazu einen Vorschlag gemacht. Aber ich würde mir nicht zu viel davon versprechen. Der Spielraum ist begrenzt. Zum einen geht es jetzt darum, private Investitionen besser zu stimulieren: Stromnetze, erneuerbare Energien, Wasserstoffnetze, Ausbau des ÖPNV – all das kann mit privatem Kapital bewegt werden. Dafür braucht es aber bessere Finanzierungsmodelle, um die Risiken für die Investoren unter Kontrolle zu halten. Das Amortisationskonto beim Wasserstoffnetz ist so ein Modell: Hier können die Netzausbauer zunächst Mittel aus diesem Konto nehmen, um es später über Gebühren wieder aufzufüllen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass es zusätzlich ein Sondervermögen für die Infrastruktur geben wird: Deutschland hat noch finanziellen Spielraum, und der Ausbaubedarf ist enorm.

Neben den angesprochenen Punkten – was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Herausforderungen, die Deutschland für eine erfolgreiche Zukunft angehen muss?
Wir brauchen Innovationen, Innovationen, Innovationen und eine innovationsfreundliche Mentalität. Unsere Förderprogramme sind oft auf die Produktion zum Beispiel grüner Produkte ausgerichtet – warum nicht viel stärker auf Forschung und Entwicklung? In der Klimapolitik geht es weniger darum, ob wir die Ziele erreichen, sondern vielmehr, wie wir sie erreichen. Sind wir in einigen Jahren führend in den grünen Technologien? Wird daraus ein Geschäftsmodell? Europa hat 25 Prozent der weltweiten Wissenschaftler – diese Standortstärke sollten wir noch viel besser nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anja Schneider.